Peter Oswald

2000–2005

Der Musikwissenschaftler Peter Oswald, Direktor des musikprotokoll von 1988 bis 1990, Intendant des Klangforum Wien (1992–99) und Gründer (1999, mit Barbara Fränzen) des CD-Labels für Neue Musik KAIROS, startete seinen ersten herbst zwei Wochen später als üblich mit einer finanziellen Lücke von 2,8 Millionen Schilling (ca. 300.000 Euro), die durch Absprung eines internationalen Kooperationspartners entstanden war. Nichtsdestotrotz hielt Oswald an dem geplanten Programm und seiner Vision fest, mit dem Festival „eine Leuchtkraft zu entwickeln, die auch gesellschaftlich wirksam sein kann“.1

In seiner Einleitung zum Programmheft des steirischen herbst ’00 (2K) verzichtete Oswald auf ein übergreifendes Leitmotiv und berief sich stattdessen auf eine „‚neue Moderne‘, die die von der Postmoderne aufgekündigten dialektischen Bezüge zu politischen und sozialen Kontexten wiederherstellt“. Als „Zeiterkundungsfestival“ biete sich der steirische herbst als Forum für „jene künstlerischen Manifestationen an, die den gesellschaftlichen Wandel bewusst reflektieren, sich aber auch den Ängsten und Unsicherheiten stellen, die mit ihm einhergehen“, und setze damit „einen expliziten Kontrapunkt zur Politik“:

Während die Politik einer Logik der Vereinfachung folgt und auf Phänomene der Globalisierung und die davon generierten Ängste tendenziell mit reduktionistischen Welterklärungen reagiert, die lediglich falsche Sicherheiten versprechen – und diese im Extremfall nur durch das Operieren von Feindbildern zu suggerieren vermag –, gehören Komplexität und Differenzierung zur Logik künstlerischer Arbeit.

Die Auseinandersetzung mit der Kunst fordere die Bereitschaft, sich auf Neues, Fremdes, Unbekanntes einzulassen. In den darauffolgenden Jahren stand der herbst unter den Leitmotiven Zerfall und Widerstand. Die neue Radikalität des Subjekts (2001), Fremdkörper (2002), Europa (2003), Krise ist immer … (2004) und polis on display (2005).

Der neue Art Director Ecke Bonk entwarf ein spielerisch von der Programmiersprache inspiriertes Logo, das die Buchstaben „her“ als „character class“ herauszustellen schien und mit dem steirischen „risc“ und dem Wiederholungszeichen aus der Musik assoziierte: steirisc[:her:]bst. Das Programmheft 2000 (2K) nahm die unter Frisinghelli weggefallene Unterteilung in Genres wieder auf und unterschied zwischen Schauspiel/Musiktheater/Tanztheater/Performance; Interdisziplinäres/Theorie/Symposion; Medienkunst/Bildende Kunst/Design/Architektur; Musik/Literatur/Film und Veranstaltungen Steiermark. Diese Einteilung wurde bereits im folgenden Jahr verworfen. Ab 2003 wurde dann zwischen Szenischer und Bildender Kunst sowie Architektur, Film, Literatur, Musik, Interdisziplinäres und Steiermark unterschieden.

Peter Oswalds Intendanz war insbesondere von großen Musiktheaterproduktionen (Szenischer Kunst) und breitenwirksamen Ausstellungen geprägt. Der von der katalanischen Performance- und Aktionstheatergruppe La Fura dels Baus mit Wolfgang Mitterers Komposition White Foam gestaltete Eröffnungsabend 2000 wurde zu einem der herbst-Höhepunkte. Das Auftragswerk Begehren von Beat Furrer (Bühnenbild: Zaha Hadid; Inszenierung: Reinhild Hoffmann) wurde 2003 von der renommierten Zeitschrift Opernwelt als Uraufführung des Jahres ausgezeichnet. Weitere wichtige musikalische Höhepunkte dieser Ära waren Lost Highway von Olga Neuwirth (Regie: Joachim Schlömer) nach dem gleichnamigen Film von David Lynch (2003), Bernhard Langs Das Theater der Wiederholungen (2003) in einer Choreografie von Xavier Le Roy sowie Peter Ablingers modulare Stadtoper Opera/Werke (2005).

Für Theaterproduktionen engagierte Oswald den Kritiker Wolfgang Reiter als Dramaturgen, der „in mehreren Fällen die richtigen Regisseure für die richtigen Stücke“2 fand. So ließ er etwa an einem Abend drei unterschiedliche Regisseur:innen (Brigitte Landes, Marc von Henning, Ruedi Häussermann) Elfriede Jelineks Trilogie Der Tod und das Mädchen I‒III aufführen und holte Größen wie den kanadischen Starregisseur Robert Lepage (the far side of the moon,2000), Dimiter Gotscheff (für Dejan Dukovskis Das Pulverfass, 2003) oder Sasha Waltz (insideout, 2003) nach Graz.

Peter Oswald war auch ein früher und konsequenter Förderer des Schriftstellers, Schauspielers, Filmregisseurs und Dramaturgen Klaus Händl alias Händl Klaus und verschaffte ihm seinen Durchbruch als Theaterautor: Nachdem sein erstes Stück Ich ersehne die Alpen; So entstehen die Seen 2001 floppte, wurde Händl Klaus zwei Jahre späte für (wilde) – der mann mit den traurigen augen, eine Koproduktion mit dem Schauspiel Hannover, von Theater heute zum Nachwuchsdramatiker des Jahres gewählt und zum Berliner Theatertreffen eingeladen.

Hatte sich Peter Vujica als ehemaliger musikprotokoll-Leiter während seiner Intendanz der Popkultur als neuer Avantgarde zugewandt und Christine Frisinghelli Musik als soziale Praxis verstanden, so kehrte mit Peter Oswald die E-Moderne zurück. Bereits in seiner Zeit beim musikprotokoll hatte er eine jüngere Generation von Komponist:innen (Beat Furrer, Péter Eötvös, Adriana Hölszky, Robyn Schulkowsky, Peter Ablinger, Olga Neuwirth usw.) ins Programm genommen und führte diese Entwicklung während seiner Intendanz unter anderem mit Georg Friedrich Haas und Johannes Maria Staud fort. Den Höhepunkt bildete das Jahr 2003, als sich Graz als Kulturhauptstadt feierte und in der eigens zu diesem Zwecke gebauten Helmut List Halle neue Musikstücke von Beat Furrer, Olga Neuwirth und Bernhard Lang aufgeführt wurden. Seither ist die Helmut List Halle eine feste Größe als Spielstätte des steirischen herbst.

Bei den Ausstellungsprojekten zählte Peter Oswald auf große Namen und Breitenwirksamkeit, etwa mit Fashion will go out of fashion des Monokini-Erfinders Rudi Gernreich (kuratiert von Brigitte Felderer, später übernommen von der University of Pennsylvania) in einer Architektur von Coop Himmelb(l)au in der Neuen Galerie, <hers> Video als weibliches Terrain, kuratiert von Stella Rollig (2000), ABBILD. Recent portraiture and depiction, kuratiert von Peter Pakesch (2001), oder Latente Utopien. Experimente der Gegenwartsarchitektur von Zaha Hadid und Patrik Schumacher im Landesmuseum Joanneum (2002–03).

Die von Theo Steiner konzipierten Symposien Genpool, Menschenpark, Freizeitkörper (2001) und Barbaren. Kampfvokabel der Gegenwart (2002), Jörg Schlicks Projekt Gleich scheuen Hirschen in Wäldern versteckt zu leben (2001) das die Kunst in das Regelsystem der Biologie transponierte, sowie das von Ilma Rakusa kuratierte Literatursymposion Literatur im Herbst (2000) über die Autorinnen Ex-Jugoslawiens bezeugen das wissenschaftlich-interdisziplinäre Interesse von Oswalds Intendanz.

1
Peter Oswald, zitiert in Franz Niegelhell, „,steirischer herbst‘ mit Komplexitätsanspruch. Neo-Intendant Peter Oswald präsentiert seine ‚Leitprojekte‘ für den ‚steirischen herbst‘ als Kontrapunkt zur Politik“, Neue Zeit, 11. März 2000, o. S.
2
Wolfgang Kralicek, „Das Beste aus 51 Nächten. Herbstliche Erinnerungen eines Theaterkritikers“, in herbstbuch. 1968–2017, hg. Martin Behr et al. (Wien: Styria, 2017), S. 105.

Biografie

Foto: Heimo Binder

Peter Oswald
(*1953 in Hohenems, Österreich; †2017 in Wiener Neustadt, Österreich)

Kultur- und Musikmanager, Musiktheater- und Konzertdramaturg, Journalist und Musiktheoretiker

Studium der Pharmazie, Musikwissenschaft, Theaterwissenschaft und Philosophie

1979–2017 Freie journalistische Tätigkeiten bei Falter, Neue Zeitschrift für Musik, Neue Zürcher Zeitung, Melos, ORF, sowie zahlreiche Programmtexte, Radiosendungen, Vorträge und Beiträge in Sammelbänden zur Neuen Musik
1984–87 Leiter der Promotion-Abteilung der Universal Edition
1987–88 Musikreferent der Wiener Festwochen
1988–90 Leiter des musikprotokoll
1991–92 Musikchef des ORF-Fernsehens
1992–99 Intendant des Klangforum Wien
1999 Gründung (gemeinsam mit Barbara Fränzen) des CD-Labels Kairos
2000–05 Intendant des steirischen herbst
2003 Künstlerische Leitung der Konzerte von Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas
2009 Projektbezogener Dramaturg am Teatro Real Madrid
2010 Veranstalter des Symposiums Neue Musik und Neurowissenschaften
2010–13 Intendant des Arcana Festivals für Neue Musik, Sankt Gallen

Lehrtätigkeit
2006 Lehrauftrag an der Donau-Universität Krems
2007–10 Dozent am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Wien

Veröffentlichungen (Auswahl)
„Subkutane Seismographen. Zeit und Geschichte im ersten Satz von Mahlers IX. Symphonie“, in Gustav Mahler. Musik-Konzepte Sonderband. Hg. Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn. München: Edition Text und Kritik, 1989.
„Ich bin sehr jung auf eine sehr alte Welt gekommen. Anmerkungen zu Erik Satie“, in Falter 24 (1981).
„Steaks and Shakes … USA spekuliert mit militärischer Intervention in Nicaragua“, in Falter 25 (1983).
„Nacht-Schatten-Gewächse. Die Stärke der schwachen Kraft: Georg Friedrich Haas“, in Katalog Wien Modern 1993. Wien: Wien Modern, 1993.
„Musikalische Landkarte. Musik und Kartographie“, in: Kartographisches Denken. Hg. Christian Reder. Wien: Springer, 2012.
Mit Andreas Karl: „Strategische Potentiale des Musiktheaters. Komponieren für die Bühne im 21. Jhdt.“, in Katalog Wien Modern 2015. Wien: Wien Modern, 2015.

Festivalausgaben

Retrospektive
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