Gerd Kühr
Con Sordino für zwei Violinen, Viola und Violoncello

Konzert

Daten
6.10.2005

Ort
Helmut-List-Halle
Graz

Serie
musikprotokoll 2005

Mit '...à la recherche...' und 'Con Sordino' schrieb Gerd Kühr Mitte der 90er Jahre zwei Kompositionen für traditionelle Besetzungen, scheute aber die Wahl der entsprechenden Gattungsnamen. Nachdem er bereits in seinem ersten Werk für zwei Violinen, Viola und Violoncello das geschichts-trächtige Etikett "Streichquartett" zur blutleeren Besetzungsangabe 'Für Streichquartett' degradiert hatte, wollte er sein zweites allenfalls als "Kommentar zu einem Streichquartett" verstanden wissen.

Indes bleibt die Tradition in 'Con Sordino' wenigstens folienhaft sichtbar. Denn nach zwei Dritteln wiederholt sich der Anfang - also Reprise (wie ja auch 'Für Streichquartett' zwei "Themen" verarbeitete). Doch stimmt die "Reprise" nicht, was nicht nur an den vertauschten Instrumenten liegt, sondern vor allem an den gegenüber den ersten Takten fehlenden Stimmen. Kührs Werk beginnt gleichsam aus dem Vollen und reicht seinen ideellen Ausgangspunkt erst nach. Wer den Sonatensatz braucht, muss ihn sich auf den Kopf gestellt denken.

Es geht bei 'Con Sordino' ohnedies um Anderes, nämlich um den Zentralton d, genauer: um das eingestrichene d. Dass der Ton vierteltönig umkreist wird, mag man als Verneigung vor außereuropäischen Tonskalen auffassen, in denen solche Schwankungen den Interpreten anheimgestellt sind, mithin als Reaktion auf die Bitte des Auftraggebers Wien Modern, ein Stück für das Festival-Thema 'Fremde Welten' (1996) zu schreiben. Anders aber als in 'Für Streichquartett' zögert Kühr hier, die Frucht seines Zentraltons im gesamten Tonraum aufgehen zu lassen: e und c - mehr entblättert er kaum. Kurzfristig wird das d auch in entlegenen Oktavlagen aufgesucht, werden flüchtige Figuren größeren Umfangs improvisierend hin- und hergeworfen, strukturiert Kühr den Verlauf durch Passagen, in denen verschiedene Spieltechniken die Lichtverhältnisse des Klangbildes ändern, tastet die erste Violine kurz nach der "Reprise" den kompletten chromatischen Tonraum ab - umsonst: Das Stück tritt auf der Stelle.

Diese gezielt inszenierten Ausnahmen garantieren eine vielfarbige, abwechslungsreiche Komposition, die aber immer nur dorthin will, wo sie schon war. Kühr interessiert sich weder für Minimalismus, noch für das Innenleben des Tones, wie es die Streichquartette Scelsis auffächern, sondern für die Rückkehr, die Konzentration auf den Ausgangspunkt. Er nennt es "in sich gekehrt". Doch zugespitzt formuliert könnte man dem Stück geradezu autistische Züge attestieren: ängstliches Klammern am einmal Erworbenen und dessen liebevoll-schrullige Pflege, ohne es neben ein anderes zu stellen oder nach außen zu tragen (die Lautstärke geht über ein Piano nicht hinaus; die im Titel des Werkes angesprochenen Dämpfer sind obligat).

Indes wäre Kühr nicht Kühr, bewahrte er nicht das "Prinzip Hoffnung": Hoch oben knipst die erste Violine das Stück mit einem letzten Ton aus: ein a, in der Sprache der Tradition die Dominante, Ausgangspunkt fremder Tonregionen und doch gebannt vom Grundton d.

Christoph Becher

Komponistin / Komponist: Gerd Kühr
Ensemble / Gruppe / Band: Klangforum Wien
Musikerin / Musiker: Annette Bik
Musikerin / Musiker: Gunde Jäch-Micko
Musikerin / Musiker: Andrew Jezek
Musikerin / Musiker: Andreas Lindenbaum
Mitwirkende / Mitwirkender: Peter Böhm

Retrospektive
Retrospektive
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