Christoph Schlingensief
Gala zum Auftakt von Chance 2000 für Graz

Theater

Daten
5.10.1998

Ort
Schauspielhaus Graz
Graz

Wo hat Theater seine Grenzen? An den Kulissen, an den Wänden eines Schauspielhauses. Wenn es hinausgeht auf die Straße, merkt man: diese Wände sind im Kopf. Dort liegt der wahre Ort der Vorstellung. Für gewöhnlich übernehmen Medien das Inszenieren in den Köpfen. Machen aus Lassing "Lassing", aus Diana "Diana", aus dem Kosovo den "Kosovo". Nur die Politik hat sich von selbst zur medialen "Politik" gemacht. Die Medien arbeiten emsig an uns - von Frühstückszeitung über Plakat, Radio und Postwurf über Abendnachrichten bis zur Werbung . In Amerika, groß auch in der kindlichen Naivität, nennt man Werbespots "messages", schlicht und ergreifend Botschaften. Das hat etwas Göttliches, das läßt denken an Erschaffung. Botschaften erschaffen eine Wirklichkeit in unseren Gehirnen, die mit Wirklichkeit im Alltag nichts zu tun hat. Und darin doch so herrisch ist.

Christoph Schlingensief weiß um diese Phänomene, bedient sich ihrer untentwegt. Eine Ankündigung nur mit ein paar Worten, die sie reizen, reicht Medien und ihren Konsumenten aus, ganze Lawinen von Vorstellungen in ihren Köpfen auszulösen. Sie sind darin gleichsam ausverkauft, ein erfolgreicher Abend somit. Nur: vor diesen selbst erschaffenen Wirklichkeiten fürchten sie sich. Warum eigentlich? Diese Methode ist Provokation, ja sicher. Sie hat durchaus auch etwas Kindliches, ja sicher. War es nicht ein Kind, das da gesagt hat, der Kaiser sei nackt?

Drei reizende Worte zum Beispiel: Obdachlose. Arbeitslose. Wettbewerb.

Worte, die eine reiche Gesellschaft an ihr Versagen erinnern? An unsre Lügerei? Im gewohnten Sprachgebrauch werden Leute nie aus dem Betrieb hinausgeschmissen, sie werden lieber "freigesetzt". "Frei" klingt schön. Die armen Reichen sind nie frei, immer müssen sie mit Brokern telefonieren. Und die "Freigesetzten" lungern in sozialen Hängematten und lassen es den ganzen Tag läuten. Worte also, die das sonst Umschriebene oder Verschwiegene hinausposauenen , schamlos wie Wirklichkeit ohne den üblichen Zuckerguß von Werbung oder Euphemismen.

Regie: Christoph Schlingensief
Bühnenbild, Ausstattung, Raumgestaltung: Nina Wetzel
Kostüme: Barbara Steiner
Schauspielerin / Schauspieler: Ilse Garzaner
Schauspielerin / Schauspieler: Mario Garzaner
Schauspielerin / Schauspieler: Kurt Garzaner
Schauspielerin / Schauspieler: Alexander Silber
Schauspielerin / Schauspieler: Werner Brecht
Schauspielerin / Schauspieler: Kerstin Grassmann
Schauspielerin / Schauspieler: Achim von Paczensky

Retrospektive
Retrospektive
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