2024

steirischer herbst ’24
Horror Patriae

Intendanz
Ekaterina Degot

Festivaldaten
19.9.–13.10.2024

Kuratorisches Team
Intendantin und Chefkuratorin
Ekaterina Degot

Senior Kurator:innen
David Riff
Pieternel Vermoortel

Kurator
Gábor Thury

Assistenzkurator:innen
Beatrice Forchini
Tobias Ihl

„Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.“
[…]
Der Slogan der Secession war militant antinationalistisch. In einer Welt neuer Nationalstaaten (zu denen Österreich noch nicht gehörte), Staaten, die sich bereits auf das Gemetzel des Ersten Weltkriegs vorbereiteten, erklärten die Künstler:innen die Zeit und nicht den Raum zu ihrem Gebiet. Die Zeit, die sich dem Eigentum widersetzt. Die Zeit, die geteilt wird. Sie sahen sich als Reisegefährt:innen in der Zeit – als zeit-genössische Künstler:innen.
Heute löst der Gedanke an die Zeit wahrscheinlich Angst aus, denn man sagt uns, dass der Menschheit nur noch wenig davon bleibt. Also greifen wir nach einem Rettungsanker: Orte und Territorien, in die wir hineingeboren wurden und mit denen wir für immer wie durch eine Nabelschnur verbunden sind.
—Ekaterina Degot

Im Superwahljahr 2024, in dem ein wiedererstarkter Nationalismus weltweit Wahlsiege feierte, warf der steirische herbst Fragen zu Nation, Identität und Herkunft auf. Horror Patriae, das siebente Festival unter Ekaterina Degot, beleuchtete die Erzählungen, die als Vaterland wahrgenommen werden, als auch die Schrecken, die in diesen Fiktionen ihren Anfang finden – natürlich nicht ohne eine Prise Humor.

Für Aufsehen sorgte der steirische herbst ’24 bereits vor seiner Eröffnung, nach dem Aufbau von Yoshinori Niwas Installation und Dauerperformance Cleaning a Poster During the Election Period Until It Is No Longer Legible. Der Künstler hatte ein satirisches Wahlplakat einer fiktiven rechtspopulistischen Partei entworfen, das er bis zur Nationalratswahl – die während der Laufzeit des Festivals stattfand – abwaschen wollte. Nach einer anonymen Anzeige wurde das Plakat polizeilich beschlagnahmt (das heißt, mit einer blauen Plane abgedeckt) und ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz geprüft: Der Wahlslogan „Jedem das Unsere“ spielte auf das von den Nazis verwendeten Motto „Jedem das Seine“ an. Innerhalb von 24 Stunden wurde das Plakat jedoch wieder enthüllt und Niwa konnte seine Aktion fortsetzen.

Eröffnet wurde das Festival am 19. September im Lesliehof, wo Natalia Pschenitschnikova nach der Eröffnungsrede der Indendantin den rätselhaften Habsburger Wahlspruch „A.E.I.O.U.“ und andere Kürzel in einer konzeptuellen Kantate zerlegte. Weiter ging es in der Helmut List Halle, wo Das Phantom der Operette des transnationalen Kollektivs La Fleur Premiere feierte. Die Performance untersuchte den gesellschaftspolitischen Kontext der späten Wiener Operette und ihren zeitgenössischen Nachhall anhand von Emmerich Kálmán.

Wie bereits 2022 stand bei dieser Ausgabe wieder eine Gruppenausstellung in Kooperation mit Neuer Galerie Graz / Universalmuseum Joanneum im Mittelpunkt. Anders als die Ausstellung Ein Krieg in der Ferne, die die Sammlung der Neuen Galerie in einen Dialog mit Auftragswerken setzte, kombinierte diese Schau Werke und Gegenstände aus den verschiedenen Sammlungen des Universalmuseums mit Arbeiten zeitgenössischer Künstler:innen. Im historischen Gebäude der Neuen Galerie stellte sie sich ein alternatives Nationalmuseum vor. In Abteilungen mit ironischen Namen wie „Heimattempel“ oder „Galerie der zaghaften Moderne“ erzählte die Ausstellung in der Schau von Degots Intendanz Geschichten, die lokale Mythen mit globalen Fragen verbinden. Sie untersuchte, wie imperiale Gesten mit der volkstümlichen Verklärung der Heimat einhergehen.

Im Vestibül der Neuen Galerie empfing Thomas Hörls Ahnengalerie die Besucher:innen. Der Künstler setzte sich in dieser neuen großformatigen Installation mit der Ambivalenz der Perchten auseinander. Das Brauchtum rund um diese heidnischen Sagengestalten wurde im Dritten Reich stark gefördert, ein Aspekt, der auch in anderen Teilen der Ausstellung thematisiert wurde, die sich explizit mit dem deutschnationalen und nationalsozialistischen Einfluss auf die steirische Volkskultur beschäftigten.

Mit der Grazer Architekturgeschichte setze sich Pablo Bronsteins Installation A Celebration of the Historical Evolution of the Local (Graz, Austria) Architectural Polemic auseinander. Eine gigantische Torte und eine psychedelische Posterserie illustrierten hier die Rivalität zwischen nationalen, klassizistischen und (später) postmodernen Stilen, die sich im Stadtbild niedergeschlagen hat. Eine weitere Auftragsarbeit im gleichen Raum, Marko Tadićs Installation Prevented Landscape mit übermalten Postkarten, beschäftigte sich ebenfalls mit historischen Stadtbildern und den Konflikten, die in ihnen sichtbar werden.

Zwischen den Kapiteln der Ausstellung waren neue Videoarbeiten platziert. Jan Peter Hammer etwa ging in seiner Dokumentation Noreia einem archäologischen Mythos auf den Grund. Landesarchäologe Walter Schmid behauptete in den 1920ern, in einem kleinen steirischen Dorf die Überreste einer keltischen Metropole entdeckt zu haben – was sich später als falsch herausstellte. Hammers Film beleuchtete die heute noch spürbaren Nachwirkungen dieser „Entdeckung“. Ieva Epnere inszenierte in ihrem Video Voices einen Grazer Chor, der auf lettische Volkslieder spezialisiert ist, inmitten steirischer Wahrzeichen und Berglandschaften – eine Verfremdung und Verkomplizierung von Identitäts- und Kulturfragen.

Bei Horror Patriae standen jedoch nicht nur die steirische Heimat und die österreichische Nation im Vordergrund. Zahlreiche Werke behandelten die Themen der Ausstellung auch in anderen geopolitischen Kontexten. So warb zum Beispiel Alina Kleytmans satirisches Tourismusvideo The Place to See Before You Die für einen Besuch in ihrer vom Ukrainekrieg schwer gezeichneten Heimatstadt Charkiw. Assaf Grubers poetischer Film Miraculous Accident erzählte von einer arabisch-jüdischen Liebesgeschichte an der Filmhochschule Łódź Ende der 1960er. Mit Roee Rosens Fotoserie The Gaza War Tattoos gelangte man schließlich in die Gegenwart des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Neben der großen Gruppenausstellung in der Neuen Galerie Graz beleuchtete eine kleinere Schau im Forum Stadtpark, Kunst Heimat Kunst Revisited, anhand von Archivmaterialien die Ausstellungsserie Kunst Heimat Kunst (1992–94), die Werner Fenz kuratiert hatte. Am Eröffnungswochenende feierte zudem Clara Iannis Resurrection Premiere, für das die Künstlerin mit dem erstmals gemeinsam von steirischer herbst und Stadt Graz vergebenen Werner-Fenz-Stipendium für Kunst im öffentlichen Raum ausgezeichnet worden war. Im Mittelpunkt dieser Performance standen ausrangierte Theaterkulissen, die die Natur darstellen.

Neben vielen Premieren während des Festivals konnten Besucher:innen auch am letzten Wochenende noch einmal zwei neue Performances beim steirischen herbst ’24 erleben: Thomas Verstraeten lud zu einer Wanderung durch das Modehaus Kastner & Öhler ein, das er in eine fiktive Berglandschaft verwandelte. Zum Abschluss reflektierten Felix Hafner und Ensemble bei ihrem Volksliederabend in Addis Abeba über Volkskultur und Internationalität, Authentizität und Selbstexotisierung.

Neben den Ausstellungen und Performances umfasste Horror Patriae das inzwischen fest etablierte herbstkabarett und eine umfangreiche herbstvermittlung. Das Diskursprogramm fand 2024 unter anderem in Form von herbst Deathmatches – wettbewerbsähnlichen Debatten – statt, die herbstbar in Form eines herbstcafés. Wie üblich waren auch wieder ORF musikprotokoll und Out of Joint Teil des Programms, ebenso wie das Partnerprogramm mit Performances und Ausstellungen von Institutionen und Initiativen aus Graz und der Region. Die Gruppenausstellung in der Neuen Galerie Graz war über die Festivaldauer hinaus bis Februar 2025 zu sehen und endete mit einem Symposium zum Thema Uncomfortable Voices.

Programm

Dauerperformance und Installation

Performances

Ausstellung Horror Patriae

Künstler:innen

Aus der Sammlung der Neuen Galerie Graz

Werner-Fenz-Stipendium

herbst Deathmatches

herbstkabarett

Festivals im Festival

ORF musikprotokoll

Out of Joint

Partnerprogramm

Festivaleröffnung

19.9., 17:00, Lesliehof
Festivaleröffnung
Mit Ekaterina Degots Eröffnungsrede
Und Natalia Pschenitschnikova, ​A.E.I.O.U.
Performance

18:00–20:00, Neue Galerie Graz
Horror Patriae
Vernissage
Mit Musik von Mélange Oriental

21:00, Helmut List Halle
La Fleur, The Phantom of the Operetta
Performance

23:00, Helmut List Halle
Eröffnungsparty mit La Fleur

Veranstaltungsorte

Café Wolf, Graz

Camera Austria, Graz

Dom im Berg, Graz

esc medien kunst labor, Graz

Filmzentrum im Rechbauerkino, Graz

Forum Stadtpark, Graz

Grazer Kunstverein, Graz

HDA – Haus der Architektur, Graz

Helmut List Halle, Graz

Joanneumsviertelplatz, Graz

Kapistran-Pieller-Platz, Graz

Kastner & Öhler, Graz

Kreisverkehr Studenzen/B68, Studenzen

KULTUMUSEUM, Graz

Kultur- und Kongresshaus Knittelfeld, Knittelfeld

Kulturzentrum bei den Minoriten, Graz

Kunsthalle Graz, Graz

Kunsthaus Graz, Graz

Kunst Klub Kräftner & Rösselmühle, Graz

Leechkirche, Graz

Lesliehof, Graz

Literaturhaus Graz, Graz

manuskripte, Graz

Marktplatz, Graz

Mausoleum, Graz

Michaeligasse 10, Graz

Neue Galerie Graz, Graz

Orpheum, Graz

Orpheum Extra, Graz

QL-Galerie, Graz

Racket Sport Center Graz, Graz

Radio Österreich 1

Schaumbad – Freies Atelierhaus Graz, Graz

Schauspielhaus Graz, Graz

Schlossberghotel, Graz

Schubertkino, Graz

Theater am Lend, Graz

Theater im Palais, Kunstuniversität Graz, Graz

Universität Graz, Graz

Volkshaus Graz, Graz

Publikationen

Ekaterina Degot und David Riff (Hg.), Horror Patriae (Berlin: Hatje Cantz, 2025)

Hier erhältlich

Ekaterina Degot und David Riff (Hg.), Horror Patriae: The Return of Toxic Nationhood (Berlin: Hatje Cantz, 2025)

→ Hier erhältlich

Retrospektive
Retrospektive
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