2018

steirischer herbst ’18
Volksfronten

Intendanz
Ekaterina Degot

Festivaldaten
20.9.–14.10.2018

Kuratorisches Team
Intendantin und Chefkuratorin
Ekaterina Degot

Stellvertretende Intendantin
Henriette Gallus

Leiter der Kuratorischen Belange
Christoph Platz

Kurator:innen
Övül Ö. Durmusoglu
Katalin Erdödi
Dominik Müller

Kurator für Diskurs
David Riff

Assistenzkuratorinnen
Birgit Pelzmann
Johanna Rainer

Berater für Übergreifende Fragen
Georg Schöllhammer

„Der Titel des Kernprogramms des diesjährigen steirischen herbst lautet Volksfronten. Der Titel – absichtlich im Plural und stets auf Deutsch – ist ebenso verstörend wie ambivalent. Viele Besucher*innen, und nicht nur die deutschsprachigen, werden angesichts des Wortes ‚Volk‘, das dunkle Erinnerungen heraufbeschwört, die Stirn runzeln oder gar erschaudern. Dieses vermeintlich unschuldige Wort markiert den langsamen Wandel, der sich im frühen 20. Jahrhundert in Deutschland und Österreich vollzog: Vom bürgerlichen Verständnis des ‚Volkes‘ hin zu seiner rein ethnischen und rassischen Iteration, die den Aufstieg des Nationalismus und Faschismus begünstigte und propagierte.

Das vom Festivalteam kuratierte Kernprogramm der diesjährigen Ausgabe des steirischen herbst erkundet diese Thematiken vor dem Hintergrund einer erweiterten Gesamtausstellung, die als solche an zahlreichen Orten der Stadt verstanden und erfahren werden kann. Einige ihrer Elemente sind Installationen, andere Performances und wieder andere Symposien oder Podiumsdiskussionen, die unter dem zusammenfassenden Titel Ideen stehen; sie alle sind genaue Setzungen im größeren Parcours, räumlich und zeitlich.
Es gibt einen entschiedenen Fokus auf das Lokale, das von einer verstörenden und teilweise verdrängten Geschichte geprägt und überschrieben ist.“
—Guidebook

Mit Volksfronten – der verstörende wie ambivalente Titel, der sowohl linke, antifaschistische Bündnisse wie das nationalistisch vereinnahmte „Volk“ konnotiert, wurde absichtlich im Plural und stets auf Deutsch geschrieben – reagierte der erste steirische herbst unter Ekaterina Degot auf ein zunehmend von Rechtspopulismus, völkischem Sentiment, rassischer oder ethnischer Segregation und medialer Manipulation vergiftetes Klima: „Staatliche Propagandamaschinen, zunehmende Fremdenfeindlichkeit, Antiflüchtlingspolitik und die Mitschuld der – sich stets ‚berechtigt‘ fühlenden – Bevölkerung an jenen Strukturen, die ihre Privilegien aufrecht erhalten, erzeugen heutzutage weltweit erstaunliche alarmierende Déjà-vus, die an die 1930er-Jahre erinnern“, schrieb Degot in ihrem Vorwort zum Guidebook.

Die Eröffnung fand untypischerweise links der Mur auf dem wohl öffentlichsten Ort von Graz, dem Europaplatz vor dem Hauptbahnhof, statt – im Freien und offen für alle. In ihrer Rede stellte die Intendantin rhetorische Fragen an zufällige Passant:innen, die von „Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wo die Straßenbahnhaltestelle ist?“ über „Verzeihung, interessieren Sie sich für zeitgenössische Kunst?“ zu „Entschuldigung, sind Sie für Einwanderung oder dagegen?“ oder „Gestatten Sie eine Frage: Horten Sie Nazi-Devotionalien in Ihrer Wohnung?“ reichten.

Danach führte das legendäre New Yorker Bread & Puppet Theater mit einer öffentlichen Parade durch die Keplerstraße zum Mariahilferplatz – ein Spektakel ganz im Sinne des progressiven Populismus, unter den Degot ihre gesamte Intendanz stellte. Auf der gegenüberliegenden rechten Murseite inszenierte Roman Osminkin auf der Schloßbergstiege (im Volksmund „Russenstiege“) sein erstes Open-Air-Stück Putsch (After D. A. Prigov), gefolgt von Laibach’s Sound of Music auf der Kassemattenbühne, eine Neuinterpretation des berühmten Musicals und Hollywood-Films, die die geschichtsvergessene alpenländische Idylle mit Nordkorea assoziiert.

Der Festival-Parcours setzte sich an historisch signifikanten Plätzen in der ganzen Stadt fort, in ortsspezifischen Arbeiten von Rossella Biscotti und Kevin van Braak Am Eisernen Tor, Igor & Ivan Buharov im erstmalig vom steirischen herbst genutzten Volkshaus Graz, Henrike Naumann im Haus der Architektur, Yoshinori Niwa am Hauptplatz (mit einem Entsorgungscontainer für NS-Devotionalien), Funda Gül Özcan in der ehemaligen Ankara Türkü Bar in der Griesgasse oder Milica Tomić im Forum Stadtpark (mit einer archäologischen Recherche zu einem südsteirischen KZ).

Darüber hinaus gab es Bühnenstücke von Michael Portnoy und Roee Rosen im Orpheum sowie Ivan Vyrypaevs The Iran Conference in der Universität Graz. Die russische ZIP Group installierte auf dem Dach der Arbeiterkammer eine Monumentalskulptur mit dem Slogan der jugoslawischen Partisanen „Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk!“, und das Theater im Bahnhof (ein selbsternanntes „Volkstheater“-Kollektiv) lud zu einer Taxichoreografie durch Graz ein, in der die jeweiligen Fahrer:innen ihre eigenen Touren durch Graz inszenierten und Besucher:innen unter anderem in den berüchtigten Nachtclub Pascha führten.

Our Little Fascisms war der Titel einer Reihe von Interviews und Diskussionen unter anderem mit Ewa Majewska und Ishay Landa, die an zwei Tagen im Orpheum stattfand, und das von Camera Austria veranstaltete Symposion über Fotografie XXI widmete sich der Gewalt der Bilder. Die beiden Veranstaltungen und weitere Themenabende fanden bei freiem Eintritt in der Sparte Ideen statt. Das musikprotokoll 2018 lief unter der Leitung von Elke Tschaikner unabhängig vom Kernprogramm und umfasste unter anderem Beiträge von ZULI, Kurt Hentschläger und dem Klangforum Wien.

Programm

Volksfronten

Ideen

Begleitprogramm

Festivaleröffnung

20.09., 17:00
Europaplatz - Keplerstraße - Mariahilferplatz 
Bread & Puppet Theater, The Underneath the Above Parade #1

19:30
Schloßbergplatz, Schloßbergstiege
Roman Osminkin, Putsch (After D.A. Prigov)

21:00
Schloßbergbühne Kasematten
Laibach, Laibach´s Sound of Music


 

Veranstaltungsorte

Akademie Graz

Am Eisernen Tor

Andreas-Hofer-Platz

Camera Austria

Dom im Berg

Ehemalige Ankara Türkü Bar

Hauptplatz

Haus der Architektur

Helmut List Halle

Hotel Daniel Graz

Hotel Wiesler, Frühling

Karl-Franzens-Universität Graz, Aula (Auditorium)

Karl-Franzens-Universität Graz, Heizhaus

Kulturzentrum bei den Minoriten

Literaturhaus Graz

Orpheum

Orpheum Extra

Schloßbergbühne Kasematten

Schloßbergplatz, Schloßbergstiege

Volkshaus Graz

Volkshochschule Steiermark (Arbeiterkammer, Dach)

esc medien kunst labor

Publikationen

steirischer herbst festival gmbh, Guide Book steirischer herbst ’18 (Graz: 2018)

→  Hier erhältlich

Ekaterina Degot und David Riff, Volksfronten. Popular Fronts (Berlin: Hatje Cantz Verlag, 2019)

→  Hier erhältlich

Retrospektive
Retrospektive
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