2018

Bread and Puppet Theater, The Underneath the Above Parade #1 (2018), Performance, Europaplatz, Graz, 2018, Foto: Mathias Völzke; mit freundlicher Genehmigung der Künstler:innen

Yoshinori Niwa, Withdrawing Adolf Hitler from a Private Space (2018), Installationsansicht, Hauptplatz, Graz, 2018, Foto: Mathias Völzke; © Bildrecht, Wien 2021

ZIP group, Aurora (2018), Installationsansicht, Volkshochschule der AK Steiermark, Graz, 2018, Foto: Liz Eve; mit freundlicher Genehmigung der Künstler

Funda Gül Özcan, es ist eingetreten was zu erwarten war (2018), Installationsansicht, Ehemalige Ankara Türkü Bar, Graz, 2018, Foto: Mathias Völzke

Igor & Ivan Buharov, Örök szándékmező hangolás (Stimmen des unsterblichen Absichtsfeldes) (2018), Installation und Performance, Volkshaus Graz, 2018, Foto: Mathias Völzke
steirischer herbst ’18
Volksfronten
Intendanz
Ekaterina Degot
Festivaldaten
20.9.–14.10.2018
Kuratorisches Team
Intendantin und Chefkuratorin
Ekaterina Degot
Stellvertretende Intendantin
Henriette Gallus
Leiter der Kuratorischen Belange
Christoph Platz
Kurator:innen
Övül Ö. Durmusoglu
Katalin Erdödi
Dominik Müller
Kurator für Diskurs
David Riff
Assistenzkuratorinnen
Birgit Pelzmann
Johanna Rainer
Berater für Übergreifende Fragen
Georg Schöllhammer
„Der Titel des Kernprogramms des diesjährigen steirischen herbst lautet Volksfronten. Der Titel – absichtlich im Plural und stets auf Deutsch – ist ebenso verstörend wie ambivalent. Viele Besucher*innen, und nicht nur die deutschsprachigen, werden angesichts des Wortes ‚Volk‘, das dunkle Erinnerungen heraufbeschwört, die Stirn runzeln oder gar erschaudern. Dieses vermeintlich unschuldige Wort markiert den langsamen Wandel, der sich im frühen 20. Jahrhundert in Deutschland und Österreich vollzog: Vom bürgerlichen Verständnis des ‚Volkes‘ hin zu seiner rein ethnischen und rassischen Iteration, die den Aufstieg des Nationalismus und Faschismus begünstigte und propagierte.
…
Das vom Festivalteam kuratierte Kernprogramm der diesjährigen Ausgabe des steirischen herbst erkundet diese Thematiken vor dem Hintergrund einer erweiterten Gesamtausstellung, die als solche an zahlreichen Orten der Stadt verstanden und erfahren werden kann. Einige ihrer Elemente sind Installationen, andere Performances und wieder andere Symposien oder Podiumsdiskussionen, die unter dem zusammenfassenden Titel Ideen stehen; sie alle sind genaue Setzungen im größeren Parcours, räumlich und zeitlich.
Es gibt einen entschiedenen Fokus auf das Lokale, das von einer verstörenden und teilweise verdrängten Geschichte geprägt und überschrieben ist.“
—Guidebook
Mit Volksfronten – der verstörende wie ambivalente Titel, der sowohl linke, antifaschistische Bündnisse wie das nationalistisch vereinnahmte „Volk“ konnotiert, wurde absichtlich im Plural und stets auf Deutsch geschrieben – reagierte der erste steirische herbst unter Ekaterina Degot auf ein zunehmend von Rechtspopulismus, völkischem Sentiment, rassischer oder ethnischer Segregation und medialer Manipulation vergiftetes Klima: „Staatliche Propagandamaschinen, zunehmende Fremdenfeindlichkeit, Antiflüchtlingspolitik und die Mitschuld der – sich stets ‚berechtigt‘ fühlenden – Bevölkerung an jenen Strukturen, die ihre Privilegien aufrecht erhalten, erzeugen heutzutage weltweit erstaunliche alarmierende Déjà-vus, die an die 1930er-Jahre erinnern“, schrieb Degot in ihrem Vorwort zum Guidebook.
Die Eröffnung fand untypischerweise links der Mur auf dem wohl öffentlichsten Ort von Graz, dem Europaplatz vor dem Hauptbahnhof, statt – im Freien und offen für alle. In ihrer Rede stellte die Intendantin rhetorische Fragen an zufällige Passant:innen, die von „Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wo die Straßenbahnhaltestelle ist?“ über „Verzeihung, interessieren Sie sich für zeitgenössische Kunst?“ zu „Entschuldigung, sind Sie für Einwanderung oder dagegen?“ oder „Gestatten Sie eine Frage: Horten Sie Nazi-Devotionalien in Ihrer Wohnung?“ reichten.
Danach führte das legendäre New Yorker Bread & Puppet Theater mit einer öffentlichen Parade durch die Keplerstraße zum Mariahilferplatz – ein Spektakel ganz im Sinne des progressiven Populismus, unter den Degot ihre gesamte Intendanz stellte. Auf der gegenüberliegenden rechten Murseite inszenierte Roman Osminkin auf der Schloßbergstiege (im Volksmund „Russenstiege“) sein erstes Open-Air-Stück Putsch (After D. A. Prigov), gefolgt von Laibach’s Sound of Music auf der Kassemattenbühne, eine Neuinterpretation des berühmten Musicals und Hollywood-Films, die die geschichtsvergessene alpenländische Idylle mit Nordkorea assoziiert.
Der Festival-Parcours setzte sich an historisch signifikanten Plätzen in der ganzen Stadt fort, in ortsspezifischen Arbeiten von Rossella Biscotti und Kevin van Braak Am Eisernen Tor, Igor & Ivan Buharov im erstmalig vom steirischen herbst genutzten Volkshaus Graz, Henrike Naumann im Haus der Architektur, Yoshinori Niwa am Hauptplatz (mit einem Entsorgungscontainer für NS-Devotionalien), Funda Gül Özcan in der ehemaligen Ankara Türkü Bar in der Griesgasse oder Milica Tomić im Forum Stadtpark (mit einer archäologischen Recherche zu einem südsteirischen KZ).
Darüber hinaus gab es Bühnenstücke von Michael Portnoy und Roee Rosen im Orpheum sowie Ivan Vyrypaevs The Iran Conference in der Universität Graz. Die russische ZIP Group installierte auf dem Dach der Arbeiterkammer eine Monumentalskulptur mit dem Slogan der jugoslawischen Partisanen „Tod dem Faschismus, Freiheit für das Volk!“, und das Theater im Bahnhof (ein selbsternanntes „Volkstheater“-Kollektiv) lud zu einer Taxichoreografie durch Graz ein, in der die jeweiligen Fahrer:innen ihre eigenen Touren durch Graz inszenierten und Besucher:innen unter anderem in den berüchtigten Nachtclub Pascha führten.
Our Little Fascisms war der Titel einer Reihe von Interviews und Diskussionen unter anderem mit Ewa Majewska und Ishay Landa, die an zwei Tagen im Orpheum stattfand, und das von Camera Austria veranstaltete Symposion über Fotografie XXI widmete sich der Gewalt der Bilder. Die beiden Veranstaltungen und weitere Themenabende fanden bei freiem Eintritt in der Sparte Ideen statt. Das musikprotokoll 2018 lief unter der Leitung von Elke Tschaikner unabhängig vom Kernprogramm und umfasste unter anderem Beiträge von ZULI, Kurt Hentschläger und dem Klangforum Wien.
Programm
Volksfronten
Michael Zinganel & Michael Hieslmair
Rossella Biscotti & Kevin van Braak
kozek hörlonski in Zusammenarbeit mit Alexander Martinz
Martin Behr & Martin Osterider
Roee Rosen mit Hani Furstenberg und Igor Krutogolovs Spielzeug-Orchester
Ideen
Begleitprogramm
Künstlerhaus, Halle für Kunst & Medien
< rotor > Zentrum für zeitgenössische Kunst
Festivaleröffnung
20.09., 17:00
Europaplatz - Keplerstraße - Mariahilferplatz
Bread & Puppet Theater, The Underneath the Above Parade #1
19:30
Schloßbergplatz, Schloßbergstiege
Roman Osminkin, Putsch (After D.A. Prigov)
21:00
Schloßbergbühne Kasematten
Laibach, Laibach´s Sound of Music
Veranstaltungsorte
Akademie Graz
Am Eisernen Tor
Andreas-Hofer-Platz
Camera Austria
Dom im Berg
Ehemalige Ankara Türkü Bar
Hauptplatz
Haus der Architektur
Helmut List Halle
Hotel Daniel Graz
Hotel Wiesler, Frühling
Karl-Franzens-Universität Graz, Aula (Auditorium)
Karl-Franzens-Universität Graz, Heizhaus
Kulturzentrum bei den Minoriten
Literaturhaus Graz
Orpheum
Orpheum Extra
Schloßbergbühne Kasematten
Schloßbergplatz, Schloßbergstiege
Volkshaus Graz
Volkshochschule Steiermark (Arbeiterkammer, Dach)
esc medien kunst labor
Publikationen

steirischer herbst festival gmbh, Guide Book steirischer herbst ’18 (Graz: 2018)
→ Hier erhältlich

Ekaterina Degot und David Riff, Volksfronten. Popular Fronts (Berlin: Hatje Cantz Verlag, 2019)
→ Hier erhältlich
Retrospektive
Retrospektive